Freitag, 10. April 2009


Meine liebe Tochter,

heute sind wir zur Karfreitagsprozession der italienischen Gemeinde in Wuppertal gegangen. Gegen 16.00 Uhr startete die erste von vier Szenen am Deweertschen Garten. Dort wurde Jesus von Judas verraten und durch die geistigen Führer der Israeliten der römischen Besatzungsmacht ausgeliefert. Am Laurentiusplatz wurde Jesus vor Herodes gebracht, verurteilt und mit einer Dornenkrone auf dem Haupt und einem wuchtigen Kreuz auf der Schulter weiter zum Neumarkt und dann weiter bis auf die Hardt geschickt, einem Hügel mitten in Elberfeld der als Park der Schauplatz der Kreuzigung sein sollte. Aber so weit kamen wir gar nicht. Am Neumarkt haben wir uns schon abgewendet.

Die Geschichte ist ja bekannt. Auch ist bekannt, dass hier nicht der wirkliche Jesus oder echte römische Soldaten rumlaufen, sondern Mitglieder der italienischen Gemeinde. Es ist, wenn man so will, eine Laien-Schauspieltruppe die durch die Stadt zieht. Die „Passione vivente“ hat eine lange Tradition in Italien, und wurde heute zum 29. Mal in Wuppertal aufgeführt. Ok, es ist nicht wirklich Routine, aber es ist ein Schauspiel, nicht mehr. Trotzdem hat es mich bis ins Herz berührt.



Dieser „Jesus“ ist mit seinem Kreuz auf dem Rücken durch das frühlingshaft belebte Elberfeld gezogen, flankiert von römischen Soldaten in ihrer üblichen Rüstung und langen Lanzen, vorbei an staunenden Menschen in Eiscafes, oder welchen mit Pizzaschachteln in der Hand. Menschen, die damals wie heute nicht verstehen, was da passiert, die sich lustig machen über die Vorgänge und die die ganze Szene verspotten. Ich habe versucht vorne an der langen Prozession der vielen Tausend Menschen zu gehen und mir wurde deutlich gemacht, welche Last nicht nur das Kreuz, sondern auch das Volk war, das den Sohn Gottes verständnislos ansah.

Ich hatte mich den Weg über gefragt, ob jemand hinzuspringen würde um die Last des Kreuzes zu übernehmen. Wie Du weißt, mein kleiner Augapfel, habe ich Dich die ganze Zeit getragen, und Du wurdest mir den langen Weg durch die Stadt schwer. Wie schwer musste wohl das Holzkreuz gewesen sein? Doppelt so viel, vielleiccht drei mal? Niemand ist hingegangen und hat das Kreuz auf sich genommen. Die Menschen am Rande des Weges haben vielmehr ihren Unmut über die kurzfristige Sperrung der Straße kundgetan, habe die Prozession als Schwachsinn bezeichnet, oder das ganze bei einem kleinen Espresso für sich, und einem großen Eis für die Kinder aus dem Cafè amüsiert betrachtet. Jesus wäre heute genau so wieder ans Kreuz genagelt worden wie vor zweitausend Jahren auch. In Jerusalem oder in Wuppertal. Der Ort ist ganz egal. Aber so weit ich weiß, musste es sein. Letztlich war es gut so, wie es war. Noch was, das schwer zu verstehen ist.

In Liebe,


Dein Papa.