Meine liebe Tochter,

ich habe sie noch gekannt: Tageszeitungen. Ich habe noch das Papier in der Hand gehabt, gewaltige Blätter die beim Wechsel der Seiten geschickt beherrscht werden wollten, und den geduldigen Leser mit neuem Wissen und geschwärzten Fingerkuppen von der Druckfarbe zurück lassen. Und wie es sich im Moment zeigt wirst Du höchstwahrscheinlich nur noch Relikte aus diesen Tagen erleben. Zeitungsprojekte die aus purer Sturheit nicht aufgeben. So wie die TAZ, die ja schon seit Jahren kurz davor steht die heißgelaufenden Lenzpumpen abzuschalten.

In diesen Tagen, am Ende 2012, wird die gedruckte Ausgabe von Prinz, der Frankfurter Rundschau und der Financial Times Deutschland eingestellt. Weitere werden folgen. Manche nach zähem Überlebenskampf, viele Millionen an Rettungsgelder von finanzstarken Investoren, die an Einhörner und Feenstaub glauben, mit sich in den Abgrund ziehend. Andere wie mit dem Fallbeil geköpft. Von einem Tag auf den anderen.

Letzten Freitag habe ich mit einer Medienwissenschaftlerin gesprochen. Einer Professorin, die „sich auskennt“. Wir sind auf das allgegenwärtige Thema gekommen, und sie hat mir von Relaunches erzählt (bei der sueddeutschen.de) und von anderen Aktivitäten, die den Status Quo erhalten sollen. Ich habe davon gesprochen, dass es schwer wird ein Micropayment für Nachrichten zu etablieren, wo doch 1. die Bereitschaft zu zahlen nur schwach ausgeprägt ist, und 2. das Verlangen nach Hintergrundinformationen auf dem gleichen Niveau herumdümpelt (wobei Anbieter von bezahltem Content mit diesem Pfund oft wuchern, aber oft nur wenig zu bieten haben).

Am frustrierendsten, mein kleiner Schatz, war aber dieses: Diese studierte, promovierte und mit Fachwissen überladene, mir in jeder Hinsicht intelektuell überlegene Dame, stand auf dem festen Felsen das alles gut wird, wenn es lediglich so wird wie früher: Nur halt digital. Ich habe so was ähnliches im Hause Polaroid gehört, als Ender der 1990er Jahre klar war, das Digitalkameras deren Haupterwerbszweig radikal abschneiden werden. Alle, und mein Schatz, das meine ich ernst, alle von deren Managern stolz vorgetragenen Rettungsmaßnamen liefen darauf hinaus, das nur genügend digitale Produkte gefunden werden müssen, die auf Sofortbild-Material basierten. Nun ja, die Geschichte hat Polaroid zum Frühstück verspeist.

Nun hat mich just heute die Nachricht vom Tod einer weiteren Zeitschrift erreicht. Aber dieses mal ist nicht ein Druckprodukt betroffen. Ruppert Murdoch, der Medienmogul, stellt seine ausschließlich digital erhältliche Publikation „The Daily“ ein. Was mal wieder meine Meinung bestätigt, das es nicht an der Darreichungsform liegt. Und auch nicht am „Wissen über die Märkte“, den Herr Murdoch kennt sich in diesem Geschäft aus. Nun ja. Er kannte sich aus, bis das Internet kam. Anscheinend lässt sich die Zeitung wie es sie bis vor kurzem noch gab nicht in die heutige Welt adaptieren.

Zeitungen werden sterben. Ein paar wenige werden es länger aushalten, so wie ein paar wenige Vinyl-Schallplaten und Ilford-Filme immer noch angeboten werden. Meiner Meinung nach werden das die TAZ, Die Zeit und vielleicht noch ein paar andere Blätter sein. Aber nicht viele. Ist nur so ein Bauchgefühl. Ich weiß es doch auch nicht.

Und heute habe ich mir gedacht, das es möglicherweise eine Lösung für Zeitungen gibt. Nicht nur für eine, sondern gerne auch für mehrere. Die Idee habe ich schon mal fürs Fernsehen formuliert. Ok, die blieb nicht ohne Kritik, aber mir erscheint sie immer noch plausibel. Die Lösung ist einfach:

Alle Informationen sind frei zugänglich. Das bedeutet, alle Artikel sind kostenlos im Internet zu lesen. Allerdings nur für den sofort, der dafür bezahlt. Alle anderen müssen warten. In den ersten paar Stunden (bei dem richtigen Zeitrahmen bin ich noch unsicher) findet sich kostenlos nur die Headline in der Nachrichtenübersicht. Daneben steht, wann der Artikel frei wird. Sicherlich werden für die verschiedenen Arten von Nachrichten auch unterschiedliche Zeiten passend sein. Aber das müssen die Verlage unter sich aushandeln. Und das werden sie müssen. Denn ist einer dabei, der aus dem Schema ausreißt, dann ist das ganze Modell gefährdet. Womit wir bei der Schwachstelle sind.

Aber zu irgend etwas muss diese Medienwissenschaftlerin ja gut sein …

In Liebe,


Dein Vater.





mark793, Montag, 3. Dezember 2012, 22:15
Wenn die besagte Medienwissenschaftlerin wirklich einen Plan hätte, würde sie ihre Wissenschaft wahrscheinlich erst mal zwischenparken und als hochbezahlte Beraterin durch die Chefetagen deutscher Medienkonzerne tingeln.

So wie ich das als winzigkleines Rädchen in dem großen Räderwerk sehe, garantiert der Formatwechsel ins Digitale an sich noch für gar nichts - weil sich die im Gedruckten bestehende Wertschöpfungkette mit ihrer Mischkalkulation aus Vertriebs- und Werbeerlösen nun mal nicht 1:1 die digitale Welt rüberretten lässt. Die Werbung generiert online hauptsächlich "lousy pennies" wie es der Verleger Hubert Burda neulich beklagt hat, und der Nutzer zahlt auch eher ungern. Kann sein, dass bessere Micropaymentsysteme die Zahlungsbereitschaft beim Endkunden noch ein bisschen mehr stimulieren und Online als Werbeträger noch etwas wertiger wird und preislich noch Luft nach oben hat. Aber im Moment stehen wir an dem Punkt, wo der alte Äon noch nicht beerdigt ist und der neue sich nur in nebulösen Ahnungen zeigt.

Wo würde in Deinem Modell das Geld denn herkommen? Oder machen alle nur noch kostenlose Inhalte für Gotteslohn?

der_papa, Dienstag, 4. Dezember 2012, 11:13
Gezahlt wird für die sofortige Freigabe der Information. Entweder im Abo, dann sind alle Infos gleich freigeschaltet, oder pro Rubrik, dann sind z. B. alle Sportnachrichten gleich freigeschaltet, nicht aber Kultur usw., oder einzelne Beiträge on Demand. Im letzteren Fall würde man genau für den Beitrag zahlen, auf den man nicht warten kann.

Wie gesagt, das könnte IMHO auch beim Fernsehen klappen. Ich könnte mir vorstellen, das eine Menge Menschen die Hochzeitsfeier von diesem englischen Rotzbengel mit seiner Zuckerfee nicht mit 24 Stunden Verspätung ansehen wollte. Und ich wette jeden beliebigen Betrag, das Menschen die ganze Übertragung gerne später noch mal ansehen wollen, und da für auch Geld ausgeben.

Micropayment ist in der Tat ein großes Problem. Apple hat es mit iTunes für Musik eingeführt, und quält sich leidlich für Filme durch das Thema. Bei Apple ist es anders herum. Sie haben ein funktionierendes Micropayment-System, aber die Content-Anbieter wollen dafür nicht zahlen.

Irgendwie will niemand im Internet für etwas zahlen …

PS: Was die Medienwissenschaftlerin angeht, sie hat den notwendigen Abstand verloren. Sie war zu sehr in dem Betrieb (hier: sueddeutsche.de) drin um unbefangen an Lösungen zu suchen, bzw. um Lösungen überhaupt zu erkennen. Wenn sich ein Markt wandelt, sind die Menschen die in ihrer Existenz vom Markt abhängig sind üblicherweise am wenigsten geeignet Veränderungen einzuführen, bzw. auf Veränderungen zu reagieren. Veränderungen werden lieber bekämpft. Dabei werden noch so kleine lebensverlängernde Maßnahmen gerne als Sieg über den Tod gewertet. Die Realität hat aber noch jeden eingeholt …

mark793, Dienstag, 4. Dezember 2012, 22:35
Tja, ich weiß auch nicht, ich steck selber da auch zu tief drin, um den nötigen Abstand zu haben, der den Blick auf eine geniale Lösung frei gäbe.

Wirklich was bezahlt habe ich bislang nur selten für Inhalte, und das waren dann eigentlich jedesmal Artikel, die ich aus konkretem beruflichen Interesse lesen wollte/sollte. Bei allgemeineren Themen reicht in vielen Fällen auch schon die Headline, um klar zu sehen, dass ich dazu im Moment auch gar nicht mehr wissen will.

der_papa, Mittwoch, 5. Dezember 2012, 17:51
Lese ich da einen gewissen Verdruss zwischen Deinen Zeilen?

mark793, Mittwoch, 5. Dezember 2012, 18:19
Ja, da liegst Du nicht völlig falsch.

der_papa, Donnerstag, 6. Dezember 2012, 14:51
… sondern nur zum Teil?

Ich habe gerade den Niggemeier-Artikel gelesen. Noch jemand, der zu tief drin steckt* um zu sehen, was wirklich gerade passiert. Obwohl, er gibt sich wirklich Mühe …

Ich will hier nicht als der rüberkommen der die Wahrheit zu dem Thema gepachtet hat. Ich habe auch keine wirkliche Ahnung was da abgeht, und wohin sich alles entwickelt. Aber es gibt so viele Parallelen zu anderen Phänomenen, das ich lügen müsste um zu behaupten, das ist hier alles ganz anders.

Digitalfotografie ist so ein Ding. Wie lange haben sich alle eingeredet, das Film die eindeutig bessere Qualität hat, die nie nie nie durch Pixel ersetzt werden kann. Und dann als klar war, dass sich diese Frage möglicherweise gar nicht stellt, haben sich Firmen wie AGFA, Kodak und Polaroid an Produkte geklammert, die verzweifelt versucht haben beide Welten zu vereinen. Und dann sind sie unter gegangen.

Und in der Musik das Gleiche. Nichts kommt an die Qualität einer Schallplatte heran, also wird es Vinyl immer geben. Das hat weder die CD noch MP3 aufgehalten. Vinyl ist eine Nische für Fans geworden.

In diesem Style habe ich schon viele Schiffe sinken sehen. Unter anderem in der Softwarebranche. Und dann kommt der nächste aussterbende Zweig mit so was wie „Qualitätsjournalismus“. Da lachen ja die Hühner. Qualitativ hochwertiger Journalismus ist wie ein Ilford Delta-Schwarzweiß-Film oder eine Spitzen-Vinyl-Einspielung: Es sind tolle Produkte, — die kaum wer haben will. Schade um die Lebensleistungen der Menschen die sie schaffen, denn ohne Bezahlung werden sie nicht mal in der Nische überleben.

Das kann man bedauern, oder akzeptieren. Aber aufhalten kann man das nach meinem Dafürhalten nicht. Seit gut 2 Jahrzehnten warten die wahren Fotografen auf die Renaissance der Filme, und die Audiophilen auf die Wiederkehr der Schallplatte. Beides überlebt gerade so mehr schlecht als recht in der Nische. Aber nur weil dafür Geld gezahlt wird.

Im Blätterwald passiert nicht mal das …


*IMHO

mark793, Donnerstag, 6. Dezember 2012, 15:14
Das ist in der Tat einer der thematischen Teilbereiche, die bei mir für Verdruss sorgen, aber bei vielen anderen ist es nur einfach Übersättigung vom Ewiggleichen.

Ich denke im Übrigen gar nicht mal, dass Stefan Niggemeier grundsätzlich gehindert wäre, manches aus einer größeren Distanz zum Berichtsgegenstand der Medienbranche deutlicher zu sehen. Aber er hat sich nun mal dafür entschieden, seine Kritik ausschließlich systemimmanent zu artikulieren. Ob das eine bewusste Entscheidung gewesen ist, vermag ich per Ferndiagnose nicht zu sagen, aber sowohl Glanz als auch Elend seines Wirkens haben damit unmittelbar zu tun. ;-)

der_papa, Freitag, 7. Dezember 2012, 16:17
„Übersättigung vom Ewiggleichen.“

Mir ist gerade klar geworden, dass Dich diese Entwicklung natürlich voll von vorne erwischt. Wobei, freie Autoren doch in der Welt der Kürzungen zumindest theoretisch …

Könnte mir ganz gut vorstellen, das „freiwerdende Mitarbeiter“ den Wandel, so sie denn die Richtung des Wandels erkennen (was ich im Moment niemanden zutraue, weil wegen Blick in die Zukunft ist allgemein schwierig), also diese Menschen könnten durchaus in der Lage sein die momentan etablierten Zeitungsverlage rechts zu überholen.

So wie ich das sehe ist neben gutem Journalismus für diese Aktion nur ein kleines Team Wordpress-Wizards notwendig. Und ein Webserver. Den kann man für kleines Geld mieten.

Wäre nicht das erste mal, das Mitarbeiter einen sinkenden Supertanker vorzeitig verlassen und mit schnellen kleinen Frachtern den Markt von hinten aufrollen. Und nie waren schnelle kleine Frachter billiger zu bekommen als heute …

mark793, Freitag, 7. Dezember 2012, 17:34
Nicht ganz frontal, weil mein Standbein Fachzeitschriften im Vergleich noch etwas stabiler steht als die Publikumspresse inklusive der überregionalen Zeitungen. Man kann sagen, dass das Aus für FR und FTD jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bestimmte Entwicklungen deutlicher vor Augen führt, die Teil bereits im Frühjahr 2000 ihren Lauf nahmen, als die Dotcom-Blase platzte. Branchenspezifisch gesehen war das der Zeitpunkt, ab dem die Welt nicht mehr die gleiche war wie vorher - und nicht erst der vielbemühte 11.September, der vielen Entscheidern eine willkommende Ausrede bot, Kürzungen in allerlei Bereichen zu verkünden, die eh schon ventiliert worden waren und für die man noch keine gesichtswahrende Sprachregelung gefunden hatte.

"Überholen ohne einzuholen" könnte in der Tat das Gebot der Stunde sein für Leute, die sich sagen, etwas besseres als den Tod finden wir allemal. Ob ich selber den Weg in das gelobte Land des Eigenverlags noch gehe, weiß ich nicht. Vielleicht lasse ich lieber die nächste noch unverbrauchte Generation ran: Töchterlein möchte nämlich unbedingt Reporterin werden (keine Ahnung, wer ihr das in den Kopf gesetzt hat) und hat heute ihr erstes Interview geführt, mit dem sie sich bei motzgurke.tv bewirbt. Ich habe ihr im Vorfeld geholfen, Fragen zu formulieren (der Zettel blieb dann zwar zusammengeknüllt in der Hand beim Dreh) und die Kameraarbeit gemacht, aber den Aufsager vor dem Ladenlokal und das Interview mit der Inhaberin hat sie selber geführt. Auch wenn es fachlich gesehen noch ausbaufähig ist, was die Abarbeitung der wichtigen w-Fragen angeht, ich bin so stolz auf die Kleine, dafür fehlen mir die Worte...

der_papa, Samstag, 8. Dezember 2012, 18:14
Ich freue mich für Dich. Das ist wirklich erstaunlich, wie sich die Kinder entwickeln, wenn man ihnen Luft zum wachsen und Nahrung zur eigenen Entwicklung gibt. Eine wirkliche Freude dem zu zusehen.

Und wo Du es gerade noch mal hervorholst. Ich erinnere mich gut daran, wie weiland Ende 2001, Anfang 2002 alle Missstände dem islamistischen Terror zugeschrieben wurden. Es gab nur wenige Stimmen die damals anmerkten, das der damalige US-Präsident mit dem Kampf gegen den Terror prachtvoll von den massiven Problemen im eigenen Staate ablenkt.

Ohne jetzt den Strauß der Artikel aus der Zeit parat zu haben, spielte der „Qualitätsjournalismus“ das Spiel mit. Hier in Europa natürlich auf die europäische, die mäßigende Weise. Aber wirklich klare Worte konnte ich nirgendwo lesen. Es ist schwer die Dinge zu durchschauen, noch schwerer das falsche Spiel zu beweisen, und nahezu unmöglich ohne Schaden zu nehmen darüber zu berichten.

Vielleicht hast Du recht. Die Israeliten mussten 40 Jahre durch die Wüste ziehen, bevor das Volk in das „gelobte Land“ einziehen durfte. Obwohl der Weg trotz der besonderenen Situation in 6 Wochen bis 2 Monaten gut zu schaffen gewesen wäre. Aber: Keiner der Alten, die noch um das goldene Kalb getanzt haben, durfte dort hinein. Auch Mose nicht.

Achten wir also darauf, wie sich der Berufswunsch Deiner Tochter noch so entwickelt …