04. September 17 | der_papa
Meine liebe Tochter,
wenn Du erwachsen bist wirst Du möglicherweise schon davon profitieren. Ich meine das Bedingungslose Grundeinkommen. Heute, im September 2017, kann man entweder arbeiten um an Geld zu kommen, oder man hat Anspruch auf das deutsche Sozialsystem. Wer darauf Anspruch hat wird üblicherweise dazu angehalten den Platz im Sozialsystem so schnell als möglich für andere wieder frei zu machen. Menschen mit einer sozialen Hängematten-Attitüde werden nicht gerne gesehen. Das hat eine lange Tradition. Ich habe in der Nachkriegszeit in der ich aufwuchs noch von denen gehört. Sie wurden damals in den 1960ern und danach entweder abwertend Gammler genannt, oder hasserfüllt Volksschädlinge. Besonders der letzte Begriff sollte damals schon mindestens 30 Jahre lang tabu sein. War er aber nicht. Ich schweife ab.
Nun, das Bedingungslose Grundeinkommen wird aktuell wieder auf etwas höherer Flamme aufgekocht, und treibt mindestens seit der Einführung von Hartz IV als Thema in der Gesellschaft hin und her. Erst als Hirngespinst, dann als idiotische Idee, dann als ferne Utopie, dann als durchaus bedenkenswerter Lösungsansatz, und inzwischen als erstrebenswerter Gesellschaftsentwurf.
Und Du kennst mich ja, meine Zuckerschnute, ich mache mir immer viel zu viele Gedanken. Also habe ich mich erkundigt. Wozu überhaupt ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Wie soll das finanziert werden? Was passiert mit der dann liegen bleibenden Arbeit? So viele Fragen, und (überraschenderweise) gibt es sehr gute Antworten. Ich will die hier gar nicht alle wiedergeben, das kannst Du selbst herausbekommen.
Und dann passierten zwei Dinge mit mir. 1. Ich war begeistert. Ich will viel lieber Musik machen als morgens in ein Büro zu gehen. Dabei habe ich seit einiger Zeit gar nichts mehr dagegen in ein Büro zu gehen, zumindest nicht in das Büro in das ich im Moment morgens gehe. Es geht mir gut da. Aber Musik ist halt meine Leidenschaft. Trotzdem eine brotlose Kunst. Das könnte durch das Bedingungslose Grundeinkommen anders werden.
Und 2. schwante mir, die Sache könnte sich als Falle erweisen. Die Geschichte klingt eine Spur zu gut als das sie keinen Haken hätte. Aber welchen? Ich habe mehrere gefunden. Aber ich weiß sie nicht einzuordnen. Und darum meine Süße, schreibe ich sie hier mal auf. Und dann kannst Du in 20 oder 30 Jahren sagen, mein Papa hat das damals schon geahnt.
Utopien, und um so etwas handelt es sich hier, haben mindestens einen schweren Fehler: Sie gehen vom idealen, verantwortungsbewussten, ehrenhaften, und ethisch und moralisch einwandfreien Menschen aus. Das ist schön. Ich mache das auch oft. Aber wenn ich falsch liege, dann hat das Konsequenzen für mich, nicht für die Gesellschaft als Ganzes. Unsere Sozialsysteme im Jahr 2017 sind im Ursprung gut. Und sie könnten besser sein, wenn nicht der Anteil an Personen die das System und ihre Schwächen für ihre eigenen Zwecke ausnutzen so hoch wäre. Also müssen Kontrollen eingeführt werden. Das führt dazu, dass alle unter Generalverdacht gestellt werden, und der Bezug der Leistungen an Bedingungen und Vorraussetzungen geknüpft werden, die man nicht anders als Erniedrigend bezeichnen kann. Was auf der einen Seite das System schützt, erfordert auf der anderen Seite besondere Maßnahmen um zu bekommen was einem zusteht. Manche Leistungsempfänger fühlen sich sogar genötigt unklare oder gar falsche Angaben zu machen, um ihre Situation, die halt in keines der vorgegebenen Raster fällt, trotzdem zu überleben. Das wiederum ruft die Kräfte im Sozialsystem auf den Plan, die auf die Einhaltung der Regeln pochen, und weitere Konsequenzen für die neue „Bedrohungslage“ im Sozialsystem installieren. Ein Kreislauf, bei dem die Bedürftigen das Opfer sind.
Das Bedingungslose Grundeinkommen kann man bedeutend schwerer betrügen, eben weil es bedingungslos ist. Mir fällt im Moment nur die Möglichkeit mehrere Identitäten anzunehmen, um das Bedingungslose Grundeinkommen mehrfach zu beziehen. Aber ich habe leider auch nur geringe kriminelle Energie.
Der zweite Punkt allerdings, mein Augapfel, wiegt deutlich schwerer. Der größte Feind des Bedingungslosen Grundeinkommens ist in meinen Augen der Kapitalismus. Ich drücke es mal krass aus. Der Kapitalismus bekommt mit dem Begingungslosen Grundeinkommen einen schwankend großen, allerdings genau definierbaren Absatzmarkt, der mit den über die Jahrhundert gewachsenen Mitteln bearbeitet werden muss. Ziel aller Teilnehmer am Kapitalismus die diesen Absatzmarkt adressieren können, muss es sein aus diesem Markt so viel wie möglich heraus zu holen. Da die Verbraucher in diesem Markt eine definierte Kaufkraft haben, wird es also eine Weile zu Verschiebungen in den Anteilen der Anbieter geben, bis es zu einem mehr oder minder stabilen Zustand kommt.
Natürlich sind Anbieter von Luxusuhren, Yachten, Weltraumbesuchen, etc. keine Anbieter an diesem Markt. Aber Lebensmittelmärkte, Vermieter und Energieversorger sind es durchaus. In Grenzen gehören auch die Bekleidungsindustrie und die Möbelindustrie dazu. Bezieher des Bedingungslosen Grundeinkommens müssen üblicherweise wohnen und essen, brauchen Kleidung und Möbel, müssen heizen und brauchen Licht. Ich brauche auch noch etwas Strom für meine Synthies. Mancher wird Kommunikation und Medienkonsum dazulegen. Andere werden an der Kultur teilnehmen wollen.
Erkennst Du den Haken jetzt selbst, mein Engel? Auf die gerade aufgezählten Punkte wird kaum jemand verzichten wollen. Da der Kapitalismus (ich will das Wort hier übrigens nicht als Beschimpfung oder Kampfbegriff verstanden wissen, sondern als Beschreibung), also da der Kapitalismus aus allem das Optimum holen muss (!), wird es auf den Gebieten der Grundversorgung im Segment der Bezieher eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu einem Existenzkampf der Anbieter kommen, der im übelsten Fall zu einem Monopol, oder Quasi-Monopol führt.
In einem Interview mit Zeit-Online im Juli 2016 sagt der Philosoph Patrick Spät:
„Außerdem ist davon auszugehen, dass sich das Wirtschaftssystem darauf einstellt – also die Preise steigen und der Niedriglohnsektor wächst. Es würde das System nicht verändern …“
Nun weiß ich nicht was passieren wird. Keiner weiß das. Aber ich bekomme meine Bedenken nicht zerstreut. Ich möchte gerne glauben, das Bedingungslose Grundeinkommen befreit uns von der Pflicht zur Arbeit. Das wäre ein gesellschaftlicher Schritt nach Vorne den man tatsächlich auch so nennen dürfte.
Stattdessen wird das Bedingungslose Grundeinkommen dazu führen, dass es innerhalb weniger Jahre nicht mehr davon leben kann. Mieter werden ihre guten Wohnungen an die vermieten die mehr zahlen können als die Bezieher des Grundeinkommens. Um vom Grundeinkommen essen zu können kann man nur noch bei den Anbietern der Lebensmittelgrundversorger kaufen, die wiederum ihren Gewinn in der maximal möglichen Senkung der Qualität hereinholen, ohne das man straffällig wird. Um sich zu kleiden oder Möbel zu bekommen, muss man zu den Herstellern gehen, die die Menschen ausbeuten, die kein Grundeinkommen bekommen.
Und seien wir ehrlich, dass passiert doch aktuell schon. Als wir als Familie die Jahre von Sozialleistungen unter dem Hartz-IV-Niveau lebten, war unser Einkauf auf genau diese Anbieter beschränkt.
Was bringt uns dann das Bedingungslose Grundeinkommen? Es bringt die Abschaffung von Hartz IV, inkl. des Verwaltungsaufwandes. Der Druck der Behörde ist raus. Das Grundeinkommen wird höher sein als aktuell Hartz IV. Die Kaufkraft aber möglicherweise durch die vorher genannten Gründe auf dem Hartz-IV-Niveau wieder ankommen, und dort verharren. Jeder kann sich freiwillig dieser Käufergruppe anschließen. Wer mit dem Niveau auskommt hat einen Vorteil gegenüber heute.
Aber sonst? Ich weiß nicht. Ich finde auch keinen mit dem ich das diskutieren könnte. Die Webseiten zum Bedingungslosen Grundeinkommen beantworten noch die Fragen von vor fünf Jahren: Wer soll das bezahlen, geht dann überhaupt noch jemand arbeiten? Ich bin aber schon eine Stufe weiter. Und ich habe Schiss, das da was ganz Schweres auf uns zukommt.
Ich liebe Dich, mein Schatz.
Dein Papa
wenn Du erwachsen bist wirst Du möglicherweise schon davon profitieren. Ich meine das Bedingungslose Grundeinkommen. Heute, im September 2017, kann man entweder arbeiten um an Geld zu kommen, oder man hat Anspruch auf das deutsche Sozialsystem. Wer darauf Anspruch hat wird üblicherweise dazu angehalten den Platz im Sozialsystem so schnell als möglich für andere wieder frei zu machen. Menschen mit einer sozialen Hängematten-Attitüde werden nicht gerne gesehen. Das hat eine lange Tradition. Ich habe in der Nachkriegszeit in der ich aufwuchs noch von denen gehört. Sie wurden damals in den 1960ern und danach entweder abwertend Gammler genannt, oder hasserfüllt Volksschädlinge. Besonders der letzte Begriff sollte damals schon mindestens 30 Jahre lang tabu sein. War er aber nicht. Ich schweife ab.
Nun, das Bedingungslose Grundeinkommen wird aktuell wieder auf etwas höherer Flamme aufgekocht, und treibt mindestens seit der Einführung von Hartz IV als Thema in der Gesellschaft hin und her. Erst als Hirngespinst, dann als idiotische Idee, dann als ferne Utopie, dann als durchaus bedenkenswerter Lösungsansatz, und inzwischen als erstrebenswerter Gesellschaftsentwurf.
Und Du kennst mich ja, meine Zuckerschnute, ich mache mir immer viel zu viele Gedanken. Also habe ich mich erkundigt. Wozu überhaupt ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Wie soll das finanziert werden? Was passiert mit der dann liegen bleibenden Arbeit? So viele Fragen, und (überraschenderweise) gibt es sehr gute Antworten. Ich will die hier gar nicht alle wiedergeben, das kannst Du selbst herausbekommen.
Und dann passierten zwei Dinge mit mir. 1. Ich war begeistert. Ich will viel lieber Musik machen als morgens in ein Büro zu gehen. Dabei habe ich seit einiger Zeit gar nichts mehr dagegen in ein Büro zu gehen, zumindest nicht in das Büro in das ich im Moment morgens gehe. Es geht mir gut da. Aber Musik ist halt meine Leidenschaft. Trotzdem eine brotlose Kunst. Das könnte durch das Bedingungslose Grundeinkommen anders werden.
Und 2. schwante mir, die Sache könnte sich als Falle erweisen. Die Geschichte klingt eine Spur zu gut als das sie keinen Haken hätte. Aber welchen? Ich habe mehrere gefunden. Aber ich weiß sie nicht einzuordnen. Und darum meine Süße, schreibe ich sie hier mal auf. Und dann kannst Du in 20 oder 30 Jahren sagen, mein Papa hat das damals schon geahnt.
Utopien, und um so etwas handelt es sich hier, haben mindestens einen schweren Fehler: Sie gehen vom idealen, verantwortungsbewussten, ehrenhaften, und ethisch und moralisch einwandfreien Menschen aus. Das ist schön. Ich mache das auch oft. Aber wenn ich falsch liege, dann hat das Konsequenzen für mich, nicht für die Gesellschaft als Ganzes. Unsere Sozialsysteme im Jahr 2017 sind im Ursprung gut. Und sie könnten besser sein, wenn nicht der Anteil an Personen die das System und ihre Schwächen für ihre eigenen Zwecke ausnutzen so hoch wäre. Also müssen Kontrollen eingeführt werden. Das führt dazu, dass alle unter Generalverdacht gestellt werden, und der Bezug der Leistungen an Bedingungen und Vorraussetzungen geknüpft werden, die man nicht anders als Erniedrigend bezeichnen kann. Was auf der einen Seite das System schützt, erfordert auf der anderen Seite besondere Maßnahmen um zu bekommen was einem zusteht. Manche Leistungsempfänger fühlen sich sogar genötigt unklare oder gar falsche Angaben zu machen, um ihre Situation, die halt in keines der vorgegebenen Raster fällt, trotzdem zu überleben. Das wiederum ruft die Kräfte im Sozialsystem auf den Plan, die auf die Einhaltung der Regeln pochen, und weitere Konsequenzen für die neue „Bedrohungslage“ im Sozialsystem installieren. Ein Kreislauf, bei dem die Bedürftigen das Opfer sind.
Das Bedingungslose Grundeinkommen kann man bedeutend schwerer betrügen, eben weil es bedingungslos ist. Mir fällt im Moment nur die Möglichkeit mehrere Identitäten anzunehmen, um das Bedingungslose Grundeinkommen mehrfach zu beziehen. Aber ich habe leider auch nur geringe kriminelle Energie.
Der zweite Punkt allerdings, mein Augapfel, wiegt deutlich schwerer. Der größte Feind des Bedingungslosen Grundeinkommens ist in meinen Augen der Kapitalismus. Ich drücke es mal krass aus. Der Kapitalismus bekommt mit dem Begingungslosen Grundeinkommen einen schwankend großen, allerdings genau definierbaren Absatzmarkt, der mit den über die Jahrhundert gewachsenen Mitteln bearbeitet werden muss. Ziel aller Teilnehmer am Kapitalismus die diesen Absatzmarkt adressieren können, muss es sein aus diesem Markt so viel wie möglich heraus zu holen. Da die Verbraucher in diesem Markt eine definierte Kaufkraft haben, wird es also eine Weile zu Verschiebungen in den Anteilen der Anbieter geben, bis es zu einem mehr oder minder stabilen Zustand kommt.
Natürlich sind Anbieter von Luxusuhren, Yachten, Weltraumbesuchen, etc. keine Anbieter an diesem Markt. Aber Lebensmittelmärkte, Vermieter und Energieversorger sind es durchaus. In Grenzen gehören auch die Bekleidungsindustrie und die Möbelindustrie dazu. Bezieher des Bedingungslosen Grundeinkommens müssen üblicherweise wohnen und essen, brauchen Kleidung und Möbel, müssen heizen und brauchen Licht. Ich brauche auch noch etwas Strom für meine Synthies. Mancher wird Kommunikation und Medienkonsum dazulegen. Andere werden an der Kultur teilnehmen wollen.
Erkennst Du den Haken jetzt selbst, mein Engel? Auf die gerade aufgezählten Punkte wird kaum jemand verzichten wollen. Da der Kapitalismus (ich will das Wort hier übrigens nicht als Beschimpfung oder Kampfbegriff verstanden wissen, sondern als Beschreibung), also da der Kapitalismus aus allem das Optimum holen muss (!), wird es auf den Gebieten der Grundversorgung im Segment der Bezieher eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu einem Existenzkampf der Anbieter kommen, der im übelsten Fall zu einem Monopol, oder Quasi-Monopol führt.
In einem Interview mit Zeit-Online im Juli 2016 sagt der Philosoph Patrick Spät:
„Außerdem ist davon auszugehen, dass sich das Wirtschaftssystem darauf einstellt – also die Preise steigen und der Niedriglohnsektor wächst. Es würde das System nicht verändern …“
Nun weiß ich nicht was passieren wird. Keiner weiß das. Aber ich bekomme meine Bedenken nicht zerstreut. Ich möchte gerne glauben, das Bedingungslose Grundeinkommen befreit uns von der Pflicht zur Arbeit. Das wäre ein gesellschaftlicher Schritt nach Vorne den man tatsächlich auch so nennen dürfte.
Stattdessen wird das Bedingungslose Grundeinkommen dazu führen, dass es innerhalb weniger Jahre nicht mehr davon leben kann. Mieter werden ihre guten Wohnungen an die vermieten die mehr zahlen können als die Bezieher des Grundeinkommens. Um vom Grundeinkommen essen zu können kann man nur noch bei den Anbietern der Lebensmittelgrundversorger kaufen, die wiederum ihren Gewinn in der maximal möglichen Senkung der Qualität hereinholen, ohne das man straffällig wird. Um sich zu kleiden oder Möbel zu bekommen, muss man zu den Herstellern gehen, die die Menschen ausbeuten, die kein Grundeinkommen bekommen.
Und seien wir ehrlich, dass passiert doch aktuell schon. Als wir als Familie die Jahre von Sozialleistungen unter dem Hartz-IV-Niveau lebten, war unser Einkauf auf genau diese Anbieter beschränkt.
Was bringt uns dann das Bedingungslose Grundeinkommen? Es bringt die Abschaffung von Hartz IV, inkl. des Verwaltungsaufwandes. Der Druck der Behörde ist raus. Das Grundeinkommen wird höher sein als aktuell Hartz IV. Die Kaufkraft aber möglicherweise durch die vorher genannten Gründe auf dem Hartz-IV-Niveau wieder ankommen, und dort verharren. Jeder kann sich freiwillig dieser Käufergruppe anschließen. Wer mit dem Niveau auskommt hat einen Vorteil gegenüber heute.
Aber sonst? Ich weiß nicht. Ich finde auch keinen mit dem ich das diskutieren könnte. Die Webseiten zum Bedingungslosen Grundeinkommen beantworten noch die Fragen von vor fünf Jahren: Wer soll das bezahlen, geht dann überhaupt noch jemand arbeiten? Ich bin aber schon eine Stufe weiter. Und ich habe Schiss, das da was ganz Schweres auf uns zukommt.
Ich liebe Dich, mein Schatz.
Dein Papa
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