21. September 09 | der_papa
Meine liebe Tocher,
als ich ein kleiner Junge war habe ich immer mal wieder meine Hand betrachtet und sie mit den Händen von Erwachsenen verglichen. So groß wie deren Hände wollte ich meine auch haben. Jetzt fühle ich dann und wann Deine Hand in meiner, und ich merke, dass ich am Ziel meines Wunsches angelangt bin. Jetzt habe ich die Hand eines Erwachsenen.
Ich müsste jetzt glücklich sein. Doch dann betrachte ich meine Hand und sehe darin etwas anderes als damals. Ich sehe auch die Dinge die diese Hand in der Zwischenzeit berührt haben. Ich sehe ganz besonders deutlich was diese Hand getan habt. Ich könnte jetzt heroisch wie in einem Rosenstolz-Lied ein „Ich bereue nichts!“ ausrufen. Aber das wäre eine Lüge.
Mit dieser Hand habe ich gestohlen und geschlagen. Ich habe mit ihr genommen, wo ich besser gegeben hätte. Ich habe mit ihr verletzendes geschrieben und wahre Worte ausradiert. Mit dieser Hand habe ich Spickzettel zusammengefaltet und Joints gerollt. Ich habe sie oft in die Tasche gesteckt, wo ich besser die Ärmel aufgekrempelt hätte. Ich habe damit Dinge getan, für die ich mich heute schäme.
Nun gut, mein kleiner Augapfel, man kann ja auch sagen, mit der selben Hand habe ich letzte Nacht Dir den Fieberschweiß von der Stirn gewischt. Und Deiner Mutter während Deiner Geburt ihre Hand gehalten. Und Dich in langen Nächten in den Schlaf geholfen. Ich habe damit anderer Leute Auto aus einem zugeschneiten Straßengraben geschoben und einigen alten Menschen über eine für sie unüberwindliche Straße geholfen. Ich habe bei Umzügen völlig fremder Leute geholfen und mich damit aus der wildströmenden Wupper keine 100 Meter vor dem tosenden Wehr an einem Ast aus der Wupper gezogen. Aber reicht das?
Ich betrachte meine Hand und wünschte, sie könnte noch mal so klein sein wie Deine. Das geht natürlich nicht. Und dann sehe ich Deine kleine Hand und hoffe einfach, das wir oft die Gelegenheit bekommen mit unseren Händen Gutes zu tun. Egal was, und egal für wen.
In Liebe,
Dein Papa.
mark793,
Montag, 21. September 2009, 21:08
@aber reicht das?
Natürlich reicht es nie, streng genommen. Aber wenn meine Tochter meine Hand (die auch nicht immer nur segensreich gewirkt hat) mit all ihrer Unbefangenheit und mit ihrem ganzen Urvertrauen greift, das versöhnt mich schon mit vielem. Und im Tausch gegen diese schöne Erfahrung wollte ich mein Kinderpatschehändchen nicht zurückhaben. Du doch auch nicht wirklich, oder?
Natürlich reicht es nie, streng genommen. Aber wenn meine Tochter meine Hand (die auch nicht immer nur segensreich gewirkt hat) mit all ihrer Unbefangenheit und mit ihrem ganzen Urvertrauen greift, das versöhnt mich schon mit vielem. Und im Tausch gegen diese schöne Erfahrung wollte ich mein Kinderpatschehändchen nicht zurückhaben. Du doch auch nicht wirklich, oder?
der_papa,
Dienstag, 22. September 2009, 17:51
Ja, das ist war. Obwohl ich mir manchmal wirklich wünsche noch mal neu anfangen zu können. Allerdings, so fürchte ich, werde ich meine Erfahrungen und erworbenen Fähigkeiten nicht über diesen „Live Circle Restart“ retten können. Und dann ist der Witz der Sache ja dahin. In so fern …
jammernich,
Dienstag, 22. September 2009, 18:22
Ich denke, ohne die negativen Dinge, die man im Leben so angestellt hat, wäre man ja letztlich nicht der, der man ist. Wichtig ist doch, dass diese Hand jetzt für die kleine Hand da ist. Sie führt, solange die kleine Hand das braucht. Und loslässt, wenn es soweit ist. Sie machen das schon.
der_papa,
Mittwoch, 23. September 2009, 10:45
Danke für Ihre aufbauenden Worte. Was Die Zukunft anlangt, da mache ich mir keine Illusionen. Ich werde tun was ich kann, aber meine Tochter wird mit knallenden Türen um ihren 18. Geburtstag herum Geräuschvoll ausziehen. Soviel steht fest. Ich liebe meine Tochter sehr, aber wir zwei beide sind ganz schlimme Sturköpfe. Danach wird es ein paar Jahre brauchen bis der Rauch sich legt, und dann schließen wir uns wieder in die Arme. Die Zukunft macht mir also keine Sorgen.
Was ich bedaure, und was mich im Moment stark beschäftigt ist meine Vergangenheit. Es gibt sicherlich andere Menschen die sich da mehr einen Kopp drum machen müssten. Tatsache ist, dass ich mir im Moment wünsche, ich könnte da mehr wieder gut machen, als mir im Moment möglich ist.
Sicher, meine Vergangenheit hat mich geprägt, und es ist halt alles wie es ist. Aber wenn man aus dem alten Begriff „Buße“ den katholisch-evangelisch gequirrlten Pfaffen-Mist mal raus nimmt, dann wünschte ich das ich da besser drin werde …
Was ich bedaure, und was mich im Moment stark beschäftigt ist meine Vergangenheit. Es gibt sicherlich andere Menschen die sich da mehr einen Kopp drum machen müssten. Tatsache ist, dass ich mir im Moment wünsche, ich könnte da mehr wieder gut machen, als mir im Moment möglich ist.
Sicher, meine Vergangenheit hat mich geprägt, und es ist halt alles wie es ist. Aber wenn man aus dem alten Begriff „Buße“ den katholisch-evangelisch gequirrlten Pfaffen-Mist mal raus nimmt, dann wünschte ich das ich da besser drin werde …
mark793,
Mittwoch, 23. September 2009, 11:15
Als jemand, der ursprünglich aus diesem katholischen Dunstkreis kommt, würde ich zunächst mal sagen: Buße ist Bullshit. Dieses ganze Selbstgequäle von wegen. "ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken" ist in der Form eher ungeeignet, die Menschen zu bessern.
Wenn Dich im Moment die Schatten der Vergangenheit einholen und Dich das Bedürfnis umtreibt, Dinge "wieder gut zu machen", Du aber dazu aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage bist, dann ist das vielleicht auch die falsche Priorität. Denn steckt hinter diesem Bedürfnis, Dinge wieder gut machen zu wollen, nicht viel mehr das Bedürfnis, Fehler oder was man dafür hält aus der Welt zu schaffen und damit so gut wie ungeschehen zu machen? Vielleicht läge die naheliegendere Aufgabe eher in der Selbsterkenntnis, warum habe ich so gehandelt, was hat mich auf diesen Weg gebracht, und was wollen mich meine Fehlleistungen lehren, was künftig besser zu machen ist? Wenn Du diesbezüglich mit Dir selber besser ins Reine kommst und mehr über Dich erfährst und Du lernst, Deine Nichtperfektheit anzunehmen, ist auch eine bessere Voraussetzung da, dass jemand, dem Du vielleicht Unrecht getan hast, Deine ausgestreckte Hand ergreift. Die Vergangenheit kannst Du nicht ändern, deswegen bringt auch irgendwelches Hadern damit nichts.
Wenn Dich im Moment die Schatten der Vergangenheit einholen und Dich das Bedürfnis umtreibt, Dinge "wieder gut zu machen", Du aber dazu aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage bist, dann ist das vielleicht auch die falsche Priorität. Denn steckt hinter diesem Bedürfnis, Dinge wieder gut machen zu wollen, nicht viel mehr das Bedürfnis, Fehler oder was man dafür hält aus der Welt zu schaffen und damit so gut wie ungeschehen zu machen? Vielleicht läge die naheliegendere Aufgabe eher in der Selbsterkenntnis, warum habe ich so gehandelt, was hat mich auf diesen Weg gebracht, und was wollen mich meine Fehlleistungen lehren, was künftig besser zu machen ist? Wenn Du diesbezüglich mit Dir selber besser ins Reine kommst und mehr über Dich erfährst und Du lernst, Deine Nichtperfektheit anzunehmen, ist auch eine bessere Voraussetzung da, dass jemand, dem Du vielleicht Unrecht getan hast, Deine ausgestreckte Hand ergreift. Die Vergangenheit kannst Du nicht ändern, deswegen bringt auch irgendwelches Hadern damit nichts.
der_papa,
Mittwoch, 23. September 2009, 12:15
Ich glaube, das Thema bekommt hier eine Dimension, die es so nicht hat. Auch ich komme aus einem „katholischen Dunstkreis“ und Buße ist in so fern „Bullshit“, als dass die lokalen Pfaffen und ihre überregionalen irdischen Vorgesetzten die zittrigen Finger im Spiel haben. Der Gedanke, Unrecht wieder gut zu machen ist für mich jedoch Elementar. Da können auch Hauptberufliche Bibelanhänger nichts dran ändern. Buße bedeutet für mich nicht, dass ich mich in anderer Leute Staub werfe, sondern die natürliche Einsicht das etwas falsch gelaufen ist, mein ernsthaftes Bedauern darüber und den Wunsch es wieder in Ordnung zu bringen und diesen Wunsch auch in die Tat umzuwandeln. Dieser Vorgang ist m. E. geeignet „die Menschen zu bessern“.
Es mag der Herbst sein, der mich in diese Stimmung gebracht hat. Tatsache ist, dass es viel gibt, dass ich heute anders machen würde und mir nur wenige Möglichkeiten bleiben den Fehler, mit dem ich anderen geschadet habe, wieder auszugleichen. Das bringt mich nicht um, aber es beschäftigt mein Herz und meinen Verstand.
Es mag der Herbst sein, der mich in diese Stimmung gebracht hat. Tatsache ist, dass es viel gibt, dass ich heute anders machen würde und mir nur wenige Möglichkeiten bleiben den Fehler, mit dem ich anderen geschadet habe, wieder auszugleichen. Das bringt mich nicht um, aber es beschäftigt mein Herz und meinen Verstand.
mark793,
Mittwoch, 23. September 2009, 12:44
Ah, verstehe. Das las sich oben für mich wesentlich dramatischer. Daher meine Anregung, sich diesem Komplex vielleicht mal etwas grundsätzlicher anzunähern. Das Bestreben, Unrecht wieder gut zu machen, einen Ausgleich zu suchen, ist sicher ein gesunder und ganz elementarer Impuls. Unproduktiv wird es erst dann, wenn man sich zu lange bei "ach, hätte ich doch nicht..." aufhält.
Ich selber habe nicht unbedingt das Gefühl, viele offene Rechnungen mit mir herumzutragen - aber die wenigen drücken manchmal auch ganz schön schwer.
Ich selber habe nicht unbedingt das Gefühl, viele offene Rechnungen mit mir herumzutragen - aber die wenigen drücken manchmal auch ganz schön schwer.