Mein liebe Tochter,

es gibt Menschen, die sind schwierig im Umgang. Die machen es einem nicht leicht. Meist sind das Menschen, die ihr Weltbild, ihre Umgebung, überhaupt alles, ihren eigenen Bedürfnissen, ja ihrer eigenen Existenz unterordnen. Für solche Menschen sind Adjektive wie überheblich, arrogant und egozentrisch geschaffen worden. Solche Leute haben immer Recht. Ihre Meinungen sind Gesetz. Alles was sie sagen ist wertvoll und zitierfähig, ja wichtig für die Gesellschaft. Sie haben Rezepte für alle Probleme. Einwände schrecken sie nicht, sondern sehen sie als Bestätigung ihrer überragenden Existenz an. Um es kurz zu sagen: Wo sie sind, ist vorne.

Mein Schatz, es schreckt sie nicht, dass sie alle Probleme mit dem Mähdrescher angehen. Sie merken nicht, dass mit der Zeit die Kritiker weniger werden, dass die Stummen zunehmen. Sie merken nicht, wie sich die, die sich von ihnen lösen können, von ihnen lösen und sie meiden, und die, die sich nicht von ihnen lösen können, weil sie Teil der Familie sind, sich von ihnen, wenn schon nicht räumlich, so doch emotional distanzieren. Sie wähnen sich in der Mitte des Universums. Sie gehen allen auf den Geist.

Am Anfang nimmt man es hin. Dann werden zaghafte Versuche gefahren das Weltbild solcher Menschen etwas zu erweitern, mal eine andere Sicht auf die Dinge zu nehmen. Aber es nützt nichts. Dann kommen die ersten Konfrontationen, dann kommt der Knall. Aber es nützt nichts. Dann kommen die Sticheleien. Dann der Zynismus. Aber es nützt alles nichts. Sie bleiben verstockt bei ihrer egozentrischen Sicht der Dinge. Und mit dem Alter werden die Marotten solcher Menschen immer schlimmer. Haben sie am Anfang nur verwundert, fangen sie bald an zu nerven, werden lästig und dann offen feindselig. Sie fordern ihre ihnen zustehende Position innerhalb der Familie ein, aber die bekommen sie nicht. Die Fronten verhärten sich. Ein Nervenkrieg brichtlos. Die unmittelbar beteiligten Familienmitglieder ergeben sich ihrem Schicksal und leben mit dem Tyrannen. Die Beziehungen verhärten sich, ein normaler Umgang mit ihnen wird unmöglich. Nur die minimal erforderliche Höflichkeit im Zusammenleben bleibt übrig.

Wer nicht unmittelbar mit dem Tyrannen zusammen lebt meidet seinen Haushalt, und kommt nur noch zu Besuch, um die Familienmitglieder, die nicht fliehen können, zu trösten. Man nimmt dabei Beleidigungen hin, hört sich dummes Zeug an, versucht das eine oder andere um die Beziehungen wieder aufleben zu lassen, appelliert an Vernunft und Verstand, macht Zugeständnisse, geht auf den anderen zu und scheitert doch immer wieder kläglich. Der bis ins hohe Alter aufgebaute Panzer aus Ignoranz, Überheblichkeit, und Arroganz, gepaart mit der totalen Unfähigkeit Empathie zu zeigen bleibt standhaft. Da bröckelt keine Fuge, kein Riss macht Hoffnung. Ein Scheusal, mitten im Nest wie ein Kuckucksei.

Jetzt ist er tot. Und das, mein Schatz, lässt mich mit einer eigenartigen Mischung aus Erleichterung und Trauer zurück. Ich sollte froh sein, hat er doch maßgeblich für Unfrieden in der Familie gesorgt. Er hat das Leben einiger von uns zur Hölle gemacht, so schlimm, das sogar Selbstmord im Raum stand. Selbstmord! Und jetzt weiß ich nicht warum ich trauere, bzw. warum ich nur mäßig erleichtert bin.

Mein süßer Augapfel, was soll ich mehr sagen als: Leb' wohl Jonny.


In Liebe,
dein Papa





wajakla, Donnerstag, 16. Juni 2011, 18:56
Großartig geschrieben.

Man denkt ja immer, man sei der einzige mit den Problemen. Auch wenn Jonny in diesem Fall weiblich ist.

Vielen Dank dafür.

der_papa, Donnerstag, 16. Juni 2011, 19:06
Ja, ich befürchte es gibt noch mehr Jonny's in der Welt da draußen. Irgendwie tun sie mir leid, fast so leid wie die, die unter ihnen leiden.

tama, Donnerstag, 16. Juni 2011, 19:25
Ich befinde mich seit ca. drei Jahren im Stadium der Sticheleien. Den Knall haben wir in unserer Familie einfach übersprungen.
Mich kommt allerdings niemand trösten.

Ich mag Ihre Art, die Dinge zu beschreiben.

der_papa, Donnerstag, 16. Juni 2011, 21:30
Vielen Dank für die Blumen.

Drei Jahre, das ist lang. Jonny machte das schon seit 1973. Da heiratete er in die Familie. Ich denke, beides fühlt sich letztlich gleich lang an. Aber stellen Sie sich das trösten nicht so einfach vor. Das ist auch für die Tröster sehr hart. All' der Müll, den man übernehmen und dann irgendwo verklappen muss, will man sich nicht selbst vergiften. Dieser unglaubliche Haufen Leid, der sich über die Jahre ansammelt. So unglaublich unnötig …

die familie, Sonntag, 10. Juli 2011, 21:46
treffender kann man das nicht sagen. obwohl ich eine gläubige muslimin bin und menschen nicht verdammen soll, bei jonny viel mir da sehr schwer.
das ein mensch eine ganze familie so durch seine anwesenheit drangsalieren kann, habe ich so nicht gedacht.
aber leider sterben die ewig dummen nicht aus und leider auch nicht die armen die sich mit ihnen abgeben, warum auch immer.
auch wenn ich als muslim denke jeder hat seine prüfung, denke ich mir andererseits warum die ewig dummen nicht?
ich wünsche seiner witwe was meine oma ist das ihr die zeit bleibt sich von ihm zu erholen und wieder ein selbstgesteuerter mensch zu werden.
ich hoffe und ich bitte meinen gott das er ihr diese gnade zuteil werden lässt.
schön das es menschen gibt die sich so hart und doch voller respekt ausdrücken können.
ich arbeite dran.
LG an deine tochter und frau und mutter

der_papa, Dienstag, 12. Juli 2011, 16:16
Ah, da bist Du ja. Schön das Du hergefunden hast.

Ja, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (und auch von mir) hat für die Menschen Prüfungen parat. Wir sind da einer Meinung.

Und wurde nicht der Koran zitiert als wer sagte, wen Gott liebt dem schenkt er ein Leiden? Unsere Familie muss von Gott sehr geliebt werden. Und das meine ich nicht ironisch. Jonny ist sicherlich für viele eine Prüfung gewesen, und so wie es aussieht haben nicht alle die Prüfung bestanden.

Nun ist er ja seit einer Woche beerdigt. Und diese Beerdigung war höchst interessant. Die Worte die der Geistliche fand, die Menschen die zur Beerdigung kamen, und auch die, die nicht kamen.

In all den Jahren habe ich Jonny nicht verdammt. Er hatte mein Mitleid. Ein armer Mann.

Ich glaube, jetzt wo es viel einfacher, friedlicher, freier und gerechter geworden ist, sollten wir uns bei unserer Oma öfters mal treffen. Sie liebt ihre Familie. Und mehr noch als unter Jonny hat sie darunter gelitten, das nur wenige gekommen sind sie zu besuchen.

Auch Dir und Deiner Familie die besten Grüße. Wir sollten uns mal kennen lernen …

die familie, Dienstag, 19. Juli 2011, 21:55
Ja da bin ich ja.
Ja es stimmt, wen Gott liebt dem gibt er Prüfungen und wer Gott liebt trägt seine Prüfung mit Geduld und Demut.
Nur dann hat die Prüfung seinen Sinn erfüllt, das wir Gott ein stück nähergerückt sind.
Tröstlich ist zu wissen, das Gott nur soviel prüft,was man ertragen kann, weil er will ja keinen schaden an unserer Seele verursachen. Nur mit diesem wissen kann ich es schaffen meine Prüfungen zu bestehen.
Es ist nicht immer leicht und es gibt phasen wo auch ich an mir zweifle es zu packen, aber dann denke ich daran das es schlimmere Prüfungen gibt.
Wer sich dessen bewusst ist wird die Prüfung überstehen und am jüngsten Tag als Gewinner hervor gehe inschallah(so Gott wil).

Nun kommt bald Ramadan und ich gedenke Allah und bitte ihn mir die Geduld zu haben meine Prüfungen zu meistern.

Die die unsere Oma nicht besucht haben, haben das getan um sie vor ihrem Mann zu schützen, damit er sie nicht mit psycho terror belagert.
Zumindest kann ich das für meinen teil sagen.
Aber jetzt sind bald Ferien und dann werde ich sie mit den kindern besuchen, ich freu mich schon drauf.

LG Christiane