Meine liebe Tochter,

heute hat im Radio ein Jungpolitiker (wohl ein Azubi, oder Praktikant) darüber gesprochen, dass wir in Zukunft mehr alte Menschen haben, und dass wir heute anfangen sollten für diese Zeit vorzusorgen. Er schlägt vor, dass Eltern weniger Abgaben zahlen müssen, weil sie durch ihre Elternschaft ja mithelfen, das Problem zu verringern. Das sollte, seiner Meinung nach, honoriert werden. Das sehen aber nicht alle so.

Doch darüber will ich gar nicht schreiben. In den Kommentaren zu dieser Radiosendung habe ich folgendes gelesen:
von Wiebke Krampe | 15.02.2012 09:54
Meine Meinung ist, das diese Abgabe die Kinderlose zu leisten haben gegen das Grundgesetzt verstößt!!!! Und zwar gegen folgende Grundsätze:
Art 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt
und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. verstößt!!!!!

ICH FINDE JEDE FRAU HAT DAS RECHT LAUT GESETZ ÜBER IHREN KÖRPER SELBST ZU ENTSCHEIDEN!!!!!!!! JEDE FRAU HAT DAS RECHT ÜBER IHR LEBEN SELBST ZU ENTSCHEIDEN ES IST DAS LEBEN DER EINZELNEN FRAU UND NIEMAND HAT DAS RECHT DARÜBER ZU ENTSCHEIDEN ODER ZU RICHTEN!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!


Wenn ich das Geschriebene zusammenfasse, dann sieht Wiebke Krampe Kinder als einen Angriff auf ihr „Leben und körperliche Unversehrtheit“, und eine Verletzung ihrer Freiheit?

Aber der Vogel wurde dann doch von Herrn Stratmann abgeschossen. Er schreibt:

von David Stratmann | 15.02.2012 09:07
Die, die Kinder haben, sollten zahlen. Und zwar einmal für deren Beitrag zur Umweltverschmutzung und und zweitens weil sie zum Problem der Überbevölkerung beitragen! Ich finde das schon sehr krass, wie das "Kinder" so hochstilisiert wird und was sie diese "menschen" sich dabei so alles erdreisten!


Mein süßer Augapfel, Du bist kein Beitrag zur Umweltverschmutzung, Du verletzt weder unser Leben, unsere körperliche Unversehrtheit, noch unseren Anspruch auf Freiheit. Ich schäme mich für solche Menschen. Ihr Herz ist verhärtet. Aber nicht alle Menschen sind so. Vielleicht haben sie keine Kinder, und wissen gar nicht um was es tatsächlich geht. Ich wusste es ja auch nicht, bevor Du zu uns gekommen bist.

Ich liebe Dich, mein Engel,

Dein Papa.


___________

PS: Die oben zitierten Personen haben in einem öffentlich zugänglichen Gästebuch des WDR ihre Meinung mit ihrem Klarnamen vertreten. Ich respektiere das, in dem ich die Namen nicht von ihren Aussagen entferne.





mark793, Mittwoch, 15. Februar 2012, 14:59
Puh. Dass der Vorwurf der Umweltverschmutzung auch auf den Urheber selbst zurückfällt, scheint dem Herrn Stratmann nicht zu dämmern. Er selber könnte seinen CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch auch schlagartig reduzieren, wenn einfach vor einer ausreichend hohen Brücke spränge. Ich würde als Anreiz ein üppiges Sterbegeld, auszuzahlen an die Hinterbliebenen, doch sehr befürworten.

der_papa, Mittwoch, 15. Februar 2012, 23:28
Na, wo bleibt denn Deine in 2570 Tagen an der Bloggerfront gestählte Contenance?

Aber bei dem Stratmannschen Beitrag, vorgelesen von Sabine Brandi im Radio, blieb mir erstmal buchstäblich die Luft weg. Ich konnte tatsächlich nicht mehr atmen.

Ein Beitrag ging übrigens in der unsinnigen Strafgeld-Fixation der Rückenmark gesteuerten Protestbewegung vollständig unter: Wenn wir in einer für Kinder positiven Gesellschaft leben würden, hätten wir solche Themen nicht. Und die beiden hier zitierten tragen nicht eben zu einer solchen Gesellschaftsform bei …

mark793, Mittwoch, 15. Februar 2012, 23:46
Contenance? Ich war nur ein bisschen sarkastisch, aber nicht ernsthaft angefressen. Und ich dachte in der vorgegeben Denkrichtung ein, zwei Schritte konsequent weiter.

Ich tue mich schwer mit simplen Erklärungen für die nachlassende Fortpflanzungsfreude in weitenTeilen unserer Gesellschaft. Da kommen wohl einige Faktoren zusammen. Mit ursächlich ist wohl bei vielen ein tiefsitzendes Unsicherheitsgefühl, und dem kommt man auch nicht mit einem simplen Dreh an der Steuerentlastungsschraube für Elten oder einem Kinderlosen-Strafzoll und ähnlichen Hebeln bei.

okavanga, Donnerstag, 16. Februar 2012, 00:19
Als Kinderlose möchte ich gerne etwas dazu sagen. Es betrifft primär den von Ihnen zitierten Kommentar von Wiebke. Über den anderen muss man eigentlich gar nicht reden, so bekloppt ist der.

Also. Ich spreche mich deutlich gegen so eine Abgabe aus. Zum einen, weil ich es einfach überhaupt nicht einsehe. Wenn ich keine Kinder möchte, dann möchte ich keine, und möchte dafür nicht bestraft werden. Eine erzwungene Abgabe in diesem Kontext betrachte ich wie Wiebke als Eingriff in die Entfaltung meiner Persönlichkeit. Ich werde sonst nämlich für meinen Lebensentwurf bestraft, obwohl der nicht gegen das Gesetz verstößt. Daneben: was tut die Gesellschaft dann mit all den "zusätzlichen" Kindern? Ich höre nur Klagen über Krippen-, Kindergarten- und Schulplätze. Unsere Gesellschaft ist nicht aufgestellt für Kinder. Es gibt Gründe, warum Menschen sich gegen ein Kind entscheiden, persönliche, und die sind definitiv zu respektieren.

Zum anderen: ich persönlich möchte gerne Kinder. Unbedingt. Aber mit wem? Es tut weh, keine feste Partnerschaft zu haben. Es tut weh, keine Kinder zu haben. Es tut weh, nicht das verwirklichen zu können, was man sich wünscht. Dafür möchte ich nicht noch monatlich abgestraft werden. Und was ist mit all den Menschen, die zwar eine feste Partnerschaft haben, und unbedingt Kinder haben wollen, aber es einfach nicht können? Wie eine gute Freundin von mir. Auch die kriegen dann monatlich die Quittung für ihr Versagen.

Überhaupt diesen Vorschlag einer solchen Abgabe aufs Tablett zu bringen, entbehrt jeglicher Moral. Egal, wie hoch oder niedrig die Abgabe ist.

[Edit] Pardon!!! Im Eifer des Gefechts bezog ich mich auf die in den Medien erstgenannte Idee einer Abgabe Kinderloser. In dem Beitrag von Ihnen geht es ja um eine Entlastung Kinderhabender. Dem würde ich eher zustimmen. Aber ganz tief innen doch nicht. Ich mein, ich hab nicht umsonst so eine "super" Steuerklasse. Vielleicht muss ich mich irgendwann einfach von irgendwem schwängern lassen. Ich finde es heikel, dass der Staat über das Thema Kinder an zusätzliche Kohle kommen will.

carodame, Donnerstag, 16. Februar 2012, 17:59
Die Idee, dass Kinderlose eine Zusatzabgabe leisten sollten ist ja nicht neu.
Dass Kinderlose oder solche, deren Kinder wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt haben durch ihre höheren Steuern ja bereits eine Abgabe erbringen, bleibt seltsamerweise von den übereifrigen Jungpolitikern unerwähnt.
Abgaben dann, wenn es Samenbänke gibt, Leihmutterschaften anerkannt und finanziell unterstützt werden, damit JEDE Frau unabhängig von einem männlichen Partner ein oder mehrere Kinder großziehen kann, egal welchen Alters, na sagen wir mal 60 als Obergrenze und die Samenspender in Abhängigkeit von der Spendenzahl diese als Vaterschaften anerkannt bekommen:-) Oder?

der_papa, Freitag, 17. Februar 2012, 16:12
Es gibt solch eine Abgabe bereits seit 2008. Sie beträgt 0,25% vom, äh … weiß ich nicht mehr so genau.

Kinder oder nicht als Lebensentwurf wollte ich gar nicht besprechen, auch ungewollte Kinderlosigkeit war nicht mein Thema (wenn es auch Thema der Sendung war). Mir ging es um den Vorwurf, Kinder sind Umweltverschmutzer (und daher zu meiden), bzw. Kinder verletzen die Persönlichkeitsrechte der Mutter. Und worum es mir ganz besonders ging war das: Wie krank ist unsere Gesellschaft, wenn sie solche Blüten treibt.

Ich finde eine monetäre Regelung der Kindermenge unsinnig. Wenn wir eine Kinderliebende Gesellschaft werden, gehen uns die Kinder nicht aus. Aber wir (als Gesellschaft, also alle über einen Kamm geschehrt) sehen Kinder als Störfaktor an. Was sind wir für Menschen, wenn wir Kinder so früh wie möglich weggeben wollen? Warum schieben Männer ihre Verantwortung gegenüber ihrer Nachkommenschaft ab.

Ich träume mal: Wenn Männer zu ihren Frauen und Kindern stehen würden, dann müssten wir uns kaum Gedanken über Krippenplätze machen. In meinen Augen sind alleinerziehende Mütter ein Strafbestand gegen den Vater des Kindes. Sex ist, wenn er zur Schwangerschaft führt die Zeugung neuen Lebens, und nicht ein Unfall.

der_papa, Freitag, 17. Februar 2012, 16:34
@okavanga: Die Situation ohne Partner zu sein, mit dem man sein Leben teilen möchte, kenn ich. Und ich kenne auch die Schmerzen die das bereitet. Ich bin sehr glücklich, das meine heutige Frau zu mir gefunden hat. Wäre die Sache auf meiner Schulter verblieben, dann wäre ich heute ein verhärmter alter Mann mit einigen Internet-Porno-Abos. Ich habe in so fern ausserordentlich Glück gehabt. Aber zurück zu denen, die sich für dieses Situation aktiv entscheiden.

Ich vertrete jetzt hier mal eine Position, die nicht die Meine ist: Ist es nicht so, dass jemand der sich den Pflichten in einem System entzieht, auch dessen Vorteilen verlustig gehen sollte? Ich weiß, das ist krass. Aber es ist nur ein Gedankengang. Und ich bin der Meinung das man eine Sache nur dann beurteilen kann, wenn man alle Seiten abwägt. Ich kenne viele Menschen, deren Kinder haben sich aktiv und ausdrücklich gegen Kinder entschieden, weil die ihre Karriere behindern oder gefährden könnten. Es ist ein Lebensentwurf, und keiner wird ihn kritisieren. Aber er ist in letzter Konsequenz parasitär. Oder? Aber genug Gedankenspiele.

Ich habe in meinem Bekanntenkreis Frauen und Männer, die gerne Kinder haben wollen, aber sie mangels Partner nicht bekommen. Ich beobachte sie, wie sie sind, sich geben, und bin sprachlos. Sie verhungern vor einem Überangebot an Speisen, weil sie sich nicht zwischen Kaviar und Hummer entscheiden können. Natürlich ist jede Situation individuell zu bewerten (was ich ja gar nicht will), aber trotzdem …

Ich habe in meinem Bekanntenkreis ebenfalls Familien, die möchten Kinder haben, können sie aber nicht bekommen. Meine Frau und ich gehörten die ersten 15 Jahre unserer Ehe zu dieser Gruppe. Und es war total bekloppt, das wir das, was wir Ende 2005 gemacht haben, nicht schon viel früher taten. Nun leben wir zu dritt in einer Familie. Schade das wir nichts mehr nachschieben können.

venice, Donnerstag, 16. Februar 2012, 19:17
Diese Diskussionen entsetzen mich immer wieder. Wir haben im April 2011 unsere Zwillinge verloren. Ob wir jemals Kinder haben werden wissen wir nicht. Eine Zwangsabgabe für Kinderlosigkeit würde uns doppelt bestrafen.
Wir haben Kinder....leider nicht an der Hand, sondern tief im Herzen. Lukas durfte nur eine Stunde bei uns bleiben.

Sehr traurig, solche Diskussionen.

der_papa, Freitag, 17. Februar 2012, 16:20
Ich bedaure sehr, dass Sie ihre Kinder verloren haben. Vor kurzem verstarb der erst 6 Wochen alte Sohn einer bekannten Familie. Ich war fast so stark davon betroffen, als wenn es meine Tochter wäre. So etwas würde mich bis zur Unkenntlichkeit zerstören.

Ich kann nicht sagen ob es überhaupt einen Gesetzentwurf gibt. Wie ich es verstanden habe ging es bei der Vorlage der Jungen Politikergören eher darum, die Diskussion über die Altersstruktur und die sich daraus ergebenen Konsequenzen anzustoßen. Was ihnen nicht gelungen ist. Alle Reden nur von der Abgabe, keiner von den konsequenzen.

Aber ich bin mir absolut sicher, das ein Gesetzentwurf der einfach nur guckt ob ein Panz in der Hütte steckt oder nicht, und danach kalkuliert wie viel zu zahlen ist, keinen Bestand vor der Justiz hätte. Natürlich müssen Menschen die Unfruchtbar sind, deren Kinder erwachsen oder verstorben sind von der Abgabe ausgeschlossen werden.

venice, Freitag, 17. Februar 2012, 17:22
Es tut mir sehr leid, dass dieses erst 6 Wochen alte Baby sterben musste.

Jeder Tag seit dem Verlust meiner Söhne ist ein Kampf.

Schreiben hilft mir sehr. Ich schreibe viele Briefe an meine Söhne und halte auch meine Gefühle schriftlich fest. Vermutlich habe ich auch aus diesem Grund den Blog für unsere Hündin Maya angelegt.

Alles Gute für Sie und Ihre Familie.

der_papa, Freitag, 17. Februar 2012, 17:50
Danke. Das wünsche ich Ihnen auch.

Ja, schreiben hilft. Beim Schreiben ordnet man seine Gedanken. Man drückt sie aus, gibt ihnen Form. Und es hilft sich auf den Moment vorzubereiten, an dem man loslassen kann, irgendwann …

cassandra_mmviii, Samstag, 9. Juni 2012, 20:41
Das ist relativ komplex.

einerseits ist es eine persönliche Entscheidung, ob man Kinder bekommen will oder nicht. Ja, man steckt Geld, Zeit und Nerven rein, die man nicht in Karriere, Hobby oder Ressourcenbildung stecken kann. Das steht aber (zumindest sollte es nicht) im Vordergrund der Beziehung zu den eigenen Kindern oder auch nur zu Kindern im Allgemeinen.

Andererseits ist da die Gesellschaft/der Staat, der ein Interesse dadran hat, dass er auch morgen noch Leute hat.

Und auf der dritten Seite ist es der Einzelne Mensch in 30, 40, 50 oder von mir aus auch 60 Jahren wohl anfangen wird, zumindest gelegentlich Hilfe zu brauchen. Dann sind die kurzhalsigen Nervmonster von heute auf einmal die Kardiologen, Altenpfleger, Pflegeassistenten, Taxifahrer oder auch Nachbarn, die mal vorbeigucken und schauen, ob alles in Ordnung ist.

"No man is an island, entire of itself; every man is a piece of the continent, a part of the main. If a clod be washed away by the sea, Europe is the less, as well as if a promontory were, as well as if a manor of thy friend's or of thine own were. Any man's death diminishes me because I am involved in mankind" (John Donne)

Und dazu kommen dann noch ungewollt Kinderlose, die eine "Strafabgabe" auch treffen würde.

Staatliche Zwangsmassnahmen tragen nur selten dazu bei, dass man den Grund für diese Massnahme netter findet.


Ich weiss es nicht. Allein die Diskussion, die ja öfter mal aufkommt, zeigt aber, dass etwas aus dem Lot geraten ist.