Meine liebe Tochter,

wenn Du den ersten Fernseher in deinem Leben kaufst, dann wird der grundlegend anders sein als die Kisten, die sich Menschen im Jahr 2012 noch in die Wohnungen holten. Im Moment sind Fernseher Geräte um sich in das laufende Programm einzuschalten, das hunderte Sender rund um die Uhr ablaufen lassen. Das ist in etwa wie eine Theateraufführung. Es kommt dabei auf den richtigen Zeitpunkt an. Bin ich zu früh, muss ich warten bis es los geht. Bin ich zu spät, fehlt mir evtl. eine wichtige Schlüsselszene.

Darüber werden die Menschen eines Tages ungläubig den Kopf schütteln.

Es kam zwischendurch eine Zeit, da konnte man Sendungen aufzeichnen. Erst auf Band, dann in digitale Speicher. Hatte man vergessen des Aufzeichnungsgerät zu programmieren (oder es falsch gemacht) dann konnte man allenfalls bei den Nachbarn oder den Kollegen auf eine Kopie der Sendung hoffen. Fernsehen 2.0 war also auch nicht das Gelbe vom Ei.

Aber in den nächsten paar Jahren wird sich Fernsehen zu etwas völlig anderem entwickeln. Und wie das dann aussehen soll, werde ich Dir hier erklären. Dann kannst Du in 10 Jahren, wenn alle Fernsehen 3.0 als vollkommen normal betrachten, sagen können das Dein Papa das alles schon total früh wusste.

1. Fernsehen wird eine Sache des Internets — Möglicherweise wird es Zwischenstufen geben, aber am Ende bezieht der Fernseher sein Programm über seine IP-Adresse.

2. Sendungen werden abrufbar sein — Ich kann jederzeit einen Sender anwählen und dann eine Sendung sehen, die gerade aktuell ausgestrahlt wird (siehe Theater), oder die früher mal gesendet wurde. Teilweise realisieren die Sender das heute schon mit ihren Mediatheken. Aber im Gegensatz zu den Mediatheken 2012, werden schon bald alle Sender Mediatheken haben, und sie werden alle Sendungen bereitstellen. Dauerhaft.

3. Fernsehen wird kostenlos sein — Die Grundversorgung der öffentlich-rechtlichen Sender löst sich im Moment ganz sachte auf. Diese Entwicklung wird weitergehen, vor allem weil sich neuere, bessere und einträglichere Einkommensmöglichkeiten eröffnen. Durch die Nutzung dieser Einkommen verliert der Auftrag zur Grundversorgung seine Basis, denn nur weil ARD & Co. Gebührenfinanziert sind, machen sie den ganzen Grundversorgungsquatsch mit. Sie geben aber die Einnahmequelle „Gebühren“ gerne auf, weil sich was ganz neues anbietet. Nämlich …

4. Fernsehen wird kostenpflichtig — Fernsehen wird für die Menschen kostenlos sein, die auf Aktualität verzichten können. Alle die eine Folge ihrer Lieblings-Sendung am Erstveröffentlichungstag sehen wollen, werden dafür zahlen müssen. Später kann man die Sendung (mit Werbung) im üblichen Programm kostenfrei abrufen. Das gilt nicht nur für Serienfolgen. Auch Beratungssendungen und sogar Nachrichten werden kostenpflichtig werden, wenn sie aktuell sind. So kann z. B. die Tagesschau um 20:00 Uhr 50 Cent kosten, die selbe Sendung um 22:00 Uhr abgerufen aber kostenfrei sein.

So wird es sein mein Schatz. Nun will natürlich nicht jeder Zuschauer bei jedem Sender ein Benutzerkonto anlegen. Und da kommt eine Firma ins Spiel, die das für uns manage wird. Sie hat das beim Thema Musik schon hinbekommen, und die wären ja total mit der Muffe gepufft, wenn sie es beim TV nicht auch hinbekommen würden: Apple Inc.

Es wird schon seit Jahren gemunkelt, dass Apple an einer Neuausrichtung des Fernsehmarktes arbeitet. Wer sich informiert weiß, das Apple in so was durchaus einen langen Atem hat. Das iPad geistert schon seit fast zehn Jahren durch die Entwicklungsabteilungen in Cupertino. Und wer Apple schon etwas beobachtet weiß auch, das die in den letzten 10 Jahren ein Thema nur anpackten, wenn sie die Chance haben Marktführer zu sein und zu bleiben.

Wenn Apple einen Fernseher baut, dann keinen mit dem man sich „9Live“ reinpfeiffen kann. Wozu einer von vielen werden, wenn man der eine ganz vorne sein kann? Und wie Apple Anfang dieses Jahrtausends mit den Big Four, den großen vier Musikverlagen, gesprochen hat um so etwas bahnbrechendes wie den Verkauf von digitaler Musik in Zeiten von Napster und Rapidshare auf die Bahn zu schubsen, so wird gemunkelt, das Apple zur Zeit mit den Anbietern von TV-Content verhandelt. Das sind aber deutlich mehr als 4 Verhandlungspartner. Und so kann es sein, dass es sich noch etwas hin zieht. Aber kommen wird es ganz bestimmt.

Und die Konkurrenz? Es gibt keine Konkurrenz. Es gibt im Moment nur Hersteller von Empfangsgeräten. Keiner dieser Hersteller hat Erfahrung darin Inhalte anzubieten. Apple kann auf fast 10 Jahre iTunes-Store zurückblicken. Der iTunes-Store ist erfolgreich, weil die Kombination zwischen Abspielgerät und digitaler Ware sauber funktioniert. Alle haben einen Vorteil davon: Der Kunde, der Anbieter und Apple.

So wird es sein mein Schatz. So, und nicht anders.

In Liebe,

Dein Papa





mark793, Montag, 11. Juni 2012, 18:34
Interessante Prognose, die durchaus einiges für sich hat. Allerdings löste der itunes-Store den Musikfirmen ein Problem, das die Anbieter von Bewegtbild-Inhalten so nicht haben: Sie erreichen den Kunden schon jetzt überwiegend digital und ohne Umweg über physische Träger wie CD oder mp3-Speicher. Das heißt, der Kuchen, von dem Apple was runterbeißen will, ist schon in weitaus höherem Maße verteilt (Sat-Anbieter, Kabelnetzbetreiber, Streaming-Plattformen) als dies im Musikmarkt der Fall war (wenn wir schon dabei sind, und bevor Kommentator jeeves Dirs aufs Brot schmiert: Musikverlage und Plattenfirmen sind nicht das gleiche).

Wie auch immer: Sich in die bestehenden Wertschöpfungsketten zwischen Produzenten, TV-Anbietern, Kabelnetzbetreibern, Pay-TV-Sendern und Endkunden reinzudrängeln wird eine weitaus schwierige Übung (zumal hier in Deutschland mit öffentlich-rechtlichen Anbietern, die sich nicht so einfach zu Apple ins Bett legen dürften, selbst wenn sie's wollten) als die Vorübung mit der Musik. Ich denke, dass Apple TV da eine Rolle spielen kann, aber nicht in der Gewichtsklasse wie im Audio-Business.

der_papa, Montag, 11. Juni 2012, 19:22
Ja, alles absolut richtig. Es gibt aber ein Problem das Apple (oder wer sich das auch immer traut) lösen wird. Die Zerstückelung des Marktes. Apple ist es gewohnt Probleme bzw. Innovationen durch eine unschlagbar einfach zu nutzende Kombination aus Hard- und Software anzubieten. Wenn Premiumcontent zu einem hohen Preis exklusiv verkauft werden kann, und dann in der Verwertungskette weiter Geld abwirft, und dabei gleichzeitig die abwandernden Konsumentenschichten wieder aktiviert (Internet ist bei den unter 40jährigen relevanter als Fernsehen, hört man immer mal wieder), dann werden die Anbieter anbeißen.

Apple hat ein funktionierendes Bezahlsystem, die notwendige Infrastruktur und die Akzeptanz weiter Nutzerschichten. Mit einem Schlag lässt sich z. B. das Thema mobiles TV Lösen, ohne das NBCBSFOX und so weiter mehr tun müssen, als weiterhin depperte Leute depperte Sätze sagen lassen, die dann mit Lachern aus der Konserve garniert werden. Das iTunes-TV sorgt nicht nur dafür dass der Content verkauft wird, sondern das man immer wieder damit Geld machen kann. Das ist etwas, das die bisherige „Wertschöpfungskette“ nicht bietet. Da passt Apple (oder wer sich das auch immer traut) sehr gut rein.

Sky versucht was Ähnliches zu erreichen. Aber die agieren nicht weltweit, und haben lokal ja schon deftige Probleme (die ich aber nur vom Hörensagen kenne).

Und zuletzt: Ich habe auf einem modernen TV in einer Ferienwohnung mal versucht die Mediathek der ARD zu erreichen. Das brüllte geradezu nach einer deutlich einfacheren Lösung …

mark793, Montag, 11. Juni 2012, 22:56
Die Zerstückelung des Marktes liegt z.T. schon im Produkt. Ein Madonna-Song ist der gleiche überall auf der Welt, aber die Regionalnachrichten im Bayerischen Fernsehen interessieren im NDR-Sendegebiet schon weit weniger (um nur mal ein plakatives Beispiel zu nennen). Dann ist da noch die kurze Halbwertszeit, innerhalb derer sich eine Verwertung lohnt: Für eine Sendung von voriger Woche ist kaum noch Interesse vorhanden, geschweige denn Zahlungsbereitschaft. Es sei denn, wir reden von Kinofilmen oder Serien, und da haben TV-Sender auch nur eng begrenzte Ausstrahlungsrechte.

Apple hätte also ein ähnliches Problem, wie es Sky oder die Telekom mit ihrem Home-Entertainment-Paket haben: Wirklich exklusive Sachen wie Filme oder Spitzensport, womit man Kunden ködern kann, kosten den Anbieter im Rechteerwerb so viel Geld, dass sie seriöserweise kaum zu refinanzieren sind. Und nur für den idiotensicheren Zugriff auf B- und C-Ware schafft man sich keinen teuren und edlen Apple-Fernseher an.

Ich will nicht sagen, dass Dein Szenario völlig unmöglich wäre, allerdings gelten je nach Sendungsgenre, Organinsationsform des ausstrahlenden Senders und dem jeweils ausgehandelten Rechteverteilungsmodell zwischen Produzent und Sender so derart unterschiedliche Detailregeln für die Verwertung, dass ich nicht so recht sehe, wie das für Apple skalieren soll, sich in diesen Kleinscheiß reinzufrickeln.

Was funktionieren könnte, wäre, sich auf bestimmte exklusive Leuchtturmprogramme als Türöffner zu konzentrieren, die im Paket mit der Hardware vermarktet werden. Kann sein,l dass das Inhalte sind, die es derzeit noch nicht gibt oder welche, die es bereits gibt und für die Apple tief in die Tasche greifen muss. Wenn das halbwegs am Markt ankommt und Potenzial verspricht, könnten Sender und Inhalteanbieter auf den Dreh kommen, auch größere Teile ihres bisherigen Inventars auf diesem Weg zu vermarkten.

Auf der anderen Seite darf man auch den Druck nicht unterschätzen, den Plattformen wie Hulu & Co. und, ähm, nicht lizenzierte Nutzungsvorgänge bei bestimmten Genres auf die Contentindustrie aufbauen. Da könnte es ab einem gewissen Grad tatsächlich als das kleinere Übel erscheinen, sich mit Apple einzulassen. Aber man darf nicht vergessen: Allen Cassandra-Gesängen zum Trotz ist TV das Medium, das
1) den digitalen Wandel schon wesentlich weiter bewältigt hat als die Audioanbieter seinerzeit gebacken hatten. Und 2) jammert TV auf verdammt hohem Niveau, was das Nachlassen des Interesses jüngerer Zuschauerschichten (immer noch vernachlässigbar) angeht - und in Sachen Werbeerlöse. TV ist das letzte wirklich funktionierende Reichweitenmedium und deswegen für die Werbeindustrie in Diensten der Hersteller von schnelldrehenden Konsumgütern bei allem Gemoser über Details nach wie vor unverzichtbar. Sicher, das ist nicht das, was diese Herren und Damen gerne zugeben, auf Podien stimmt man aus taktischen Gründen natürlich gerne den Abgesang auf das Medium an (schon allein aus Angst, die Preise könnten schon wieder erhöht werden).

Das Interesse, TV auch zu einer marketingtechnischen Brotkrumensortiermaschine wie die Google Ads zu machen, ist von der Seite nicht allzu groß. Alles in allem denke ich, dass Apple TV mittelfristig Chancen hätte, mit klug eingekauften Exklusivprogrammen und einer guten Benutzeroberfläche eine passable Nische zu erobern. Aber dass Apple die kompletten Geschäftsprozesse im TV-Markt zu seinen Gunsten umpflügt, sehe ich auf absehbare Zeit eher nicht.

der_papa, Dienstag, 12. Juni 2012, 14:51
Und wieder: Volle Zustimmung zu allen Punkten. Bis auf einen:

„dass Apple TV mittelfristig Chancen hätte, mit klug eingekauften Exklusivprogrammen“

Mal davon abgesehen das Apple hier nur als potentieller Kandidat für eine Lösung verwendet wird, muss derjenige, der hier eine „Revolution“ schaffen will, den Spieß umdrehen. Nicht der Verwerter kauft etwas beim Lieferanten, sondern der Lieferant bezahlt dafür, dass der Verwerter über seine potente Infrastruktur etwas gewinnbringend verteilt. Schon nach 1 bis 2 Jahren war der Musikindustrie klar, dass sie auf den iTunes-Store nicht verzichten können. So rum wird ein Schuh draus.

Auch glaube ich, dass es einen „Markt“ für z. B. TV-Dossiers über aktuelle oder dauerhaft-relevante Themen gibt. Wenn Sendungen oder Teile von Sendungen (z. B. aus Nachrichten) leicht erreichbar werden, dann kann man da sehr wahrscheinlich einiges an vielen kleinen Münzen herausholen. Auch alte Serienfolgen sind bei weitem nicht uninteressant, wie der boomende Markt an TV-DVD-Boxen beweist. Da gehen nicht selten mehret hundert Euro für ganze Staffeln von Star Treck über die Ladentheke, obwohl die in dauerschleife im Kabel laufen.

Und: Man staunt ja immer wieder, wo tatsächlich „Geld“ gemacht wird. Der Markt für Volksmusik ist da nur ein Beispiel, das die klassischen Fans von Kinderzimmer-Popstars immer wieder in Staunen versetzt.

Und noch einer zum Schluss. Es wird sich neben den vielen regionalen, auch ein globaler Fernsehmarkt bilden. Das zeigt sich unter anderem z. B. daran, das immer mehr Menschen (auch bei iTunes!) US-Fernsehfolgen im Original sehen (wollen).

mark793, Dienstag, 12. Juni 2012, 17:02
Nicht der Verwerter kauft etwas beim Lieferanten, sondern der Lieferant bezahlt dafür, dass der Verwerter über seine potente Infrastruktur etwas gewinnbringend verteilt.

Naja, an einer derartigen Umkehr der Verhältnisse im TV-Markt haben sich z.B. auch schon andere, z.B. die Kabelnetzbetreiber die Zähne ausgebissen. Den Apple-Stunt auf dem Musikmarkt kannst Du nicht vergleichen, weil dort wie gesagt mehr oder weniger gar kein Vertriebskonzept und Geschäftsmodell für Audiodateien jenseits des Trägermediums CD existierte. Und nebenbei bemerkt macht hierzulande die CD immer noch knapp drei Viertel der Musik-Umsätze. Und überdies leidet TV in weitaus geringerem Maß an der Zirkulation von raubkopierten Inhalten, wie das im Musikmarkt dank Napster & Co. der Fall war.

Und ich kann mich da nur wiederholen: Musik ist von den Lizenzierungsfragen her gesehen das einfachste von der Welt, aber TV ist hochkompliziert. Ein Fernsehsender kann nicht nach eigenem Gutdünken alte Serienepisoden (nicht zu reden ganze Staffeln) zum Einzelabruf anbieten, das geben die Nutzungsverträge nicht her. Total buy out ist da die totale Ausnahme.

Das heißt nicht, dass kein Markt dafür da wäre oder dass auch sonst nicht noch einiges gehen könnte, wenn die Inhalte nur einfacher erreichbar wären. Aber die Schwierigkeiten sind überwiegend nicht technischer Natur, sondern juristisch, administrativ und politisch. ARD und ZDF dürfen zum Beispiel ihre Inhalte nicht über externe Plattformen wie z.B. maxdome kommerziell anbieten, selbst in den eigenen Online-Archiven darf ihr Zeug nur 7 Tage lang abrufbar sein, weil die Verleger und die Privatsender so heftig rumlobbyiert haben, um der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz das Online-Leben schwer zu machen.

Um also auf Deine Prognose zurückzukommen: Ich halte es für nicht übermäßig wahrscheinlich, dass es Apple gelingt, diesen gordischen Knoten zu lösen. Zumindest nicht in Deutschland und ähnlich strukturierten Märkten.